sabato 13 ottobre 2012

Weder links noch rechts ?

Über Piraten, postmoderne Ideologie und Wissenskapitalismus

Nun hat auch Südtirol seine Piratenpartei, doch was hat es mit dieser Bewegung (wie sie sich selbst gerne bezeichnen) auf sich? Ob die Freibeuter_innen die Parlamenten und Landtage mittelfristig kapern können, steht noch in den Sternen. Zumindest ergab die Wahlforschung in Deutschland ein konstantes und sozial vorallem äußerst heterogenes Wähler_innenpotential um die 2% [1], eine Basis auf der sich aufbauen lässt. Ob selbiges für Südtirol gilt, wird sich erst erweisen müssen. Prozentspekulationen sollen jedoch nicht Gegenstand dieses Textes sein, vielmehr gehen wir hier der Frage nach, Ausdruck welcher gesellschaftlicher Verhältnisse die Pirat_innen sind.

Denn an diesem Punkt wird es interessant. Was für eine Rolle könnte die neue Partei in Zukunft spielen und welche Diskurse werden durch sie in das politische Feld eingeführt? Bereits klar ist, dass die Piratenpartei in einer entscheidenden Frage, welche sich in Bezug auf den zeitgenössischen Kapitalismus stellt, eine Avantgardeposition einnimmt. Dabei handelt es sich um die Problematik des Geistigen Eigentums. Darüber hinaus stellen die Pirat_innen ein Paradebeispiel für ein postmodernes Politikverständnis dar („weder links noch rechts“) und sind zugleich angetreten, dem bürgerlichen Parlamentarismus mit ihrem Konzept der „liquid democracy“ aus der Repräsentationskrise zu helfen.

Was all dies für eine emanzipatorische Politik bedeutet, ob „die wahren Demokrat_innen“ sich in der Piratenpartei sammeln und ob wir uns von dieser „neuen Bürgerrechtsbewegung“ einen Beitrag zur Überwindung von Herrschaft und Entfremdung erhoffen dürfen, soll im Folgenden erörtert werden.

Geistiges Eigentum und Wissenskapitalismus
Die 1970er Jahre markieren den Beginn einer tiefgreifenden Transformation des kapitalistischen Weltsystems, welche sich auf kultureller, ökonomischer, politischer sowie sozialer Ebene vollzog. Die Weichen, die damals gestellt wurden (Kanalisierung der 68er-Protesbewegung sowie partieller Integration dieser in den bürgerlich-demokratischen Konsens, Niederschlagung und Kanalisierung der diversen Klassenkämpfe, welche sich gegen die Nachkriegsökonomie richteten, Lösung der Überakkumulationsproblematik [2] durch Liberalisierung der Finanz- und Binnenmärkte), führten zu einem neuartigen Regime, welches sich durch vermehrte Staatenkonkurrenz, zunehmend autoritäre Regierungspraxen, Verbreitung neoliberaler Werte und Vorstellungen in der Gesellschaft und eine neue Qualität internationaler Arbeitsteilung auszeichnet. Interessant ist in unserem Zusammenhang zunächst letzteres.
Durch die Forcierung neuer Produktionsmethoden der Just-in-time-Fertigung [3] wurde es international agierenden Unternehmen zunehmend möglich, die global unterschiedlichen Arbeitsbedingungen für Lohnabhängige zu ihrem Vorteil zu nutzen und arbeitsintensive Produktionsprozesse in andere Regionen des Globus auszulagern. Dies befeuerte in zunehmenden Maße die Industrialisierung in der kapitalistischen Semiperipherie (China, Indien, Brasilien usw...) und wertete zugleich die Bedeutung des Dienstleistungssektors in den kapitalistischen Zentren (Europa, USA, Japan) auf. Die Produktion von Know-how, Design oder Corporate Image verblieben in den alten Industriemetropolen und die Bedeutung von Wissen für die Profitgenerierung erreichte eine neue Qualität. Dies spiegelt sich unter anderem in der europäischen Hochschulreform wieder, welche dezidiert das Ziel verfolgt, den Wissenschaftsstandort EU global in eine führende Position zu hieven. Auch die neu geführten Auseinandersetzungen um das Urheberrecht und das Geistiges Eigentum sind in diesem Kontext zu betrachten.

Die neue Technologie des Internets sowie das Wesen des Wissens selbst stellen nämlich für das Kapital einerseits neu Potentiale der Verwertung dar, sind andererseits jedoch nicht ohne weiteres mit dessen Interessen an privater Einhegung durch die Etablierung und Stärkung des Privateigentums im Bereich der Wissensproduktion kompatibel. Im Internet hat sich seit dessen Bestehen eine starke, auf Commons basierte Kultur entwickelt (z.B. open source, filesharing). Diese ist für die Dynamik und Kreativität des World-Wide-Web zentral. Die Produktion von Kultur und Wissen selbst waren immer schon diesen Organisationsprinzipien verwandt. Wissen und Kultur entstehen in kumulativen Prozessen. Wenn wissen oder Bedeutungen in Kunst und Kultur hergestellt werden, so beziehen sie sich stets auf Vorangegangenes. Die Vorstellung, dass diese Akte aus sich heraus, quasi aus dem nichts entstehen, entspringen einem antiquierten Geniebegriff, der durch die heutigen Erkenntnisse nicht mehr gedeckt ist. Vielmehr basiert die Herstellung von Wissen auf dessen offenem Zugang selbst, eine These, welche jeder/m Wissenschaftler_in oder Kulturschaffenden einleuchten dürfte. Wissen lässt sich folglich per se nur äußerst ungern in das Korsett des Privateigentums zwängen. Im Gegenteil, sein Gebrauchswert steigt mit seiner öffentlichen Zugänglichkeit, da neues Wissen stets nur im Kontext vorangegangenen Wissens und der Kultur, in welche es eingebettet ist, entstehen kann. Je mehr der Zugang eingeschränkt wird (etwa durch Kommodifizierung), desto negativer wirkt sich dies auf die Wissensproduktion aus. Die innovativsten, transnationalen Kapitalien setzen nun aber genau hier an und erzielen dadurch beträchtliche Gewinne. Sie schöpfen aus dem gigantischen Fundus der freien, nicht profitorientierten Kulturproduktion, verwerten dies in ihren Produkten und überziehen jene mit Klagen, die anschließend Lizenzrecht brechen. So fließen z.B. Elemente der Street Art in das Design von Kleidungsstücken und Turnschuhen ein. Ein derartiger Verwertungsprozess ist jedoch tendenziell kannibalistisch und stellt das Kapital vor ein Problem. Wenn dieses die freie Produktion von Wissen und Kultur zunehmend privatisiert, schränkt es zugleich zwangsläufig den Pool aus welchem es schöpfen kann ein.

Um diesen Punkt drehen sich im Wesentlichen (blenden wir alle politischen Nebelgranaten aus) die aktuellen Debatten um das Urheberrecht; eine Presche, in welche die Piratenpartei springt. In ihren Überlegungen und Konzepten zu einer Reformierung des Urheberreichtes nehmen sie eine Avantgardeposition ein, welche, sofern sie konsensfähig wird, die Widersprüche des Wissenskapitalismus bedingt aufheben könnte und den innovativen Kapitalien eine Möglichkeit schafft, ihre postindustrielle Verwertungsstrategie und Privatisierung gemeinschaftlicher Ressourcen und Wissens fortzuführen, ohne die eigenen Bedingungen der Reproduktion zu stark zu gefährden. Den Antagonismus, den die Piraten als problematisch erachten, ist hierbei nicht jener zwischen zwei möglichen Formen der Vergesellschaftung (der auf Kommodifizierung bauende Wissenskapitalismus einerseits, die freie Entfaltung der Produktivkräfte in einer solidarischen, auf Commons basierenden Ökonomie andererseits), sondern jener zwischen Urheber_innen und Rechteverwerter_innen. [4] Es geht der Piratenpartei folglich nicht dezidiert um ein über den Kapitalismus hinaus, sondern um einen zeitgemäßen Ausgleich zwischen den „finanziellen Interessen der Urheber und den Interessen der Allgemeinheit an den kulturellen Werken“ [5], welcher dem neuen Produktionsregime entspricht und die Bedingung für seinen Fortbestand [6] sichert.

Krise der Repräsentation, „liquid democracy“ und postmoderne Ideologie
Die Piratenpartei möchte aber auch noch mit einem ganz anderen Konzept der bürgerlichen Ordnung unter die Arme greifen. Mit „liquid democracy“ soll die Krise der Repräsentativen Demokratie überwunden werden, ohne grundlegend in deren Struktur als Parteienparlamentarismus einzugreifen. Denn was seit den 1970er Jahren als Ausdifferenzierung der Gesellschaft beschrieben wird (aufbrechen des klassischen Kleinfamilienmodells, Heterogenisierung der Arbeitswelt) schadet dem Modus der Repräsentation nachhaltig. Die Nachkriegsordnung, in welcher in den meisten europäischen Nationen jeweils eine staatstragende Volkspartei Lohnabhängige und eine zweite Unternehmer_innen vertreten hat, ist durch die gesellschaftliche Entwicklung aus den Fugen geraten. Die hierarchische und repräsentative Interessensvertretung auf parlamentarisch-nationaler Ebene, sowie der Neokorporatismus greifen nicht mehr und werden zunehmend von den Bevölkerungen auch als dysfunktional wahrgenommen. Die Neuorganisation des Nationalstaates und der Integrationsprozess der EU haben das ihrige dazu beigetragen. [7]

Die Piratenpartei ist Ausdruck dieses Phänomens, welches sich auch in diversen sozialen Bewegungen der letzten Zeit in Form von Experimenten rund um Direkte Demokratie, „echte Demokratie“, oder aber auch der Rückbesinnung auf rätedemokratische Traditionen bemerkbar machte. Dabei strebt die Piratenpartei im Unterschied zu einigen anderen Organisationszusammenhängen keine Politikform außerhalb des bürgerlichen Parlamentarismus an, sondern vielmehr eine Erweiterung dieses durch partizipative Momente. Hierzu zählt die Philosophie der Transparenz und basisdemokratischen Kultur innerhalb der Partei. Diese solle als eine Art Trojanisches Pferd die direkte Beteiligung der Bevölkerung an politischen Prozessen ermöglichen, ohne dabei das System als solches von vorne herein revolutionieren zu müssen. Das Prinzip, welches dahinter steht, ist jenes der „liquid democracy“. Auf der Grundlage neuer Kommunikationstechnologien soll dabei möglich werden, zwischen Repräsentation und Direkter Demokratie beliebig zu wechseln.[8] Mit diesem Verfahren wird bei den Pirat_innen in Deutschland bereits experimentiert. Dass dabei die organisatorische Verfassung im Rahmen einer Wahlpartei strukturell spätestens dann Probleme bereitet, wenn eine reale Option zur Macht besteht, dürfte sich jedoch auch schon rumgesprochen haben.

Das Problematischste am Politikverständnis der Pirat_innen ist aber ihre postmoderne Ideologie, wonach sie sich nicht im klassischen Links-Rechts-Schema verorten möchten. Diese entspringt einem technizistisch geprägten Weltbild, nach welchem nicht Antagonismen, Interessensgegensätze, Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse das Politische in der Gesellschaft konstituieren, sondern lediglich Probleme bestünden, deren Lösung die Führung einer „sachlichen“ Debatte bedürfe. Diese Vorstellung entspricht und stützt denn auch die neoliberale Ideologie, deren technokratische Visionäre ähnlich argumentieren. Was die Pirat_innen unter Politik verstehen, ist genau genommen keine, sie vertreten vielmehr die Kultur einer Pseudopolitik. Diese birgt die Gefahr, politische Sachverhalte zu entpolitisieren und Herrschaftsverhältnisse zu verschleiern.

Libertäre Alternative?
Alles in allem ergibt sich das Gesamtbild einer Partei, die sich in einem negativen Sinne auf der Höhe der Zeit befindet. Ihre Positionen könnten Anstoß geben, den im Entstehen begriffenen Wissenskapitalismus zu festigen, emanzipatorische Tendenzen darin zu kanalisieren und in eine neue Herrschaftsform zu integrieren.
Vorallem dem von vielen Pirat_innen vertretenen Politikverständnis gilt es konsequent entgegenzutreten. Die Piratenpartei selbst kann und soll im politischen Koordinatensystem verortet werden. Auch sie organisiert sich rund um spezifische Interessen, welche nicht unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Überschreitung des Links-Rechts-Schemas verschleiert werden dürfen.

Zunehmend zeichnet sich vorallem in Deutschland ab (wo die Positionen der Partei mehr geklärt sind), dass die Politik der Piratenpartei emanzipatorischer, sozialer und solidarischer Praxis zuwiderläuft.[9] Die anfängliche Begeisterung vieler Linker über den Erfolg einer als libertär wahrgenommenen Partei, weicht vermehrt Ernüchterung. Es verwundert immer wieder, wie nach den historischen Erfahrungen der Genese von Sozialdemokratie und Grünen überhaupt noch Hoffnungen in parteiförmige Organisationsstrukturen, welche den Weg des Parlamentarismus bestreiten, gesetzt werden können. Falls die Piratenpartei langfristig Erfolg haben sollte, so ist dies vermutlich eher ein weiteres Hindernis zur Bekämpfung von Ungleichheit, Herrschaft, Unfreiheit und Ausbeutung, als der Beginn dessen überwindens. Die Hoffnung auf ein Stück besseren Lebens scheint nicht im Hafen der Piraten vor Anker zu liegen.

[1] Vgl. Meves, Helge/Schulze, Tobias (2012): Betriebssysteme und die Krise der Demokratie. Was lernen wir aus dem Aufstieg der Piraten? http://www. rosalux. de/fileadmin/rls_uploadspdfs/Standpunkte/Standpunkte_13-2012.pdf, 06.09.12
[2] Siehe bzgl. Überakkumulationskrise ten Brink, Tobias (2008): Geopolitik. Geschichte und Gegenwart kapitalistischer Staatenkonkurrenz, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 96; Prägnant zusammengefasst besagt dieser Begriff, dass die innere Nachfrage der Binnenmärkte erschöpft war und das Kapital nur mehr geringe Reinvestitionsmöglichkeiten fand. Die überschüssigen, akkumulierten Werte wurden schließlich unter anderem in den Finanzmarkt investiert, wodurch eine größere Krise verzögert wurde.
[3] Dabei produzieren Zulieferfirmen nach Bestellung Produkte, welche in einem Endmontagewerk zusammengesetzt werden. Die Logistik achtet darauf, dass das Benötigte so schnell wie möglich produziert und geliefert wird („just in time“) um die Realisierung des Umsatzes zu beschleunigen, Lagerkosten zu minimieren und Standortvorteile nutzen zu können (wenn sich die Zulieferfirma etwa in einem anderen Land befindet).
[4] Vgl. Piratenpartei (2012): Vorstellung der Urheberrechtspositionen der Piratenpartei und Aufklärung von Mythen, http://www.piratenpartei.de/2012/04/15/vorstellung-der-urheberrechtspositionen-der-piratenpartei-und-aufklarung-von-mythen/, 10.09.12
[5] Vgl. ebd.
[6] Und nicht den Anfang seines Untergangs. In diesem Punkt haben sich die wackeren Kämpfer_innen für Urheberrechteschutz reichlich blamiert und sich nicht sonderlich gewissenhaften mit den Positionen der Piraten auseinandergesetzt. Die Lobbyisten der Rechteverwerter hingegen bestechen durch Borniertheit und befinden sich noch nicht auf der Höhe der Zeit. Wenn ihnen ihre geliebte, private Profitmaximierung nicht um die Ohren fliegen soll, wäre es ganz in ihrem Interesse, genauer auf die Positionen der Piraten einzugehen.
[7] Für eine ausführlichere Analyse siehe: Zöschg, Julian (2011): Krise des Nationalstaats? Über die Reorganisation des Staates im Postfordismus, http://dl.dropbox.com/u/48322269/Bachleorarbeit.pdf, 11.09.12 
[8] Mehr Informationen dazu unter: http://www.piraten.bz.it/politik, 11.09.12
[9] Siehe: Jungle World (2012): Digital unsozial, http://jungle-world.com/artikel/2012/36/46187.html, 12.09.12

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