giovedì 17 settembre 2009

Sündenbock Manager

VON JULIAN ZÖSCHG | Allerorts wird es angestimmt, das Klagelied über gierige Manger und Broker, über eine Gruppe von Menschen, welche sich parasitär in unsere Gesellschaft eingenistet haben und sie durch Habsucht fast erdrückt hätten.
Da ist es wieder, ein personalisiertes Schreckgespenst, welches sich das ressentimentgeladene bürgerliche Subjekt herbeihalluzinieren muss, damit die Widersprüche seiner Ordnung nicht die selbige zerreisen.
Nein, sie sind mir nicht sympathisch, diese neoliberalen „Eliten“ und ich werde mich keineswegs zu ihrem Advokaten erheben, doch sie trifft nur sehr bedingt die Schuld für das, was unter dem Titel „Weltwirtschaftskrise“ firmiert und eigentlich eine ökonomische, soziale und ökologische Polykrise ist. Doch wer den Fehler in der natürlichen Gier, charakterlichen Schwäche oder im hintertückischen Versuch bewusster Ausbeutung verortet, der muss sich die unbequeme Systemfrage nicht stellen. An was es schließlich fehlte, war Regulierung für unsoziale, gewissenlose Finanzjongleure, Kapitalismus als solcher funktioniere ja krisenfrei.
Es wird nun ständig heraufbeschworen, was dieses Fehlverhalten der Managern mit einer Gesellschaft angestellt habe, welche Ungerechtigkeit dadurch entstanden sei, welche Schieflage nun den integren Frieden gefährde, als ob niemals ein Herrschaftsverhältnis in unserer Sozietät existiert hätte.
Über die strukturellen Ursachen, welche derartige Charaktermasken erst hervorbringen, wird geschwiegen. Dass der Mensch nicht gierig geboren wird, sondern einer strukturellen Formung und Selektion unterliegt, wird meist nicht gesehen.

Die Nichtschuld der Manager an der Krise
Die Manager - Kinder der neoliberalen Ideologie – haben den Wagen an die Wand gefahren, so die weitverbreitete Meinung. Dabei wird impliziert, dass es sich beim Neoliberalismus um ein Modell des Machtausbaus und der Bereicherung gewisser Kreise handle, um eine politische Entscheidung moralisch Armer, als ob einfach zwei Optionen zu Wahl gestanden hätten: Weiterhin fordistisch/sozialwirtschaftlich zu Produzieren, oder umsteigen auf einen neoliberalen „Finanzmarktkapitalismus“.
Der Neoliberalismus war wahrlich gewollt, jedoch nicht um den Kapitalismus zu "barbarisieren", sondern um die Kapitalakkumulation weiterhin zu gewährleisten, sprich das System möglichst bruchfrei fortzuführen. Die Art des Wirtschaftens zwischen 1950 und 1970 hätte nicht weiterbestehen können und ist auch nicht in selber Art restituierbar. Die Krise von heute ist die Folge einer tiefgreifenden, strukturellen Krise des Fordismus der 1970er.
Diese vielgelobte Nachkriegsperiode wirtschaftlicher Prosperität war Resultat diverser Momente. Vor allem baute sie auf Kapitalexpansion (sprich Wachstum) nach innen hin auf. Es wurden noch nicht erschlossene Teile gesellschaftlichen Lebens für die Kapitalakkumulation geöffnet. Das Private wurde gänzlich der Warenform unterworfen: Nahrungsmittel wurden von nun an nur noch in Supermärkten gekauft, durch eine unglaubliche Produktivkraftsteigerung wurde Technik erschwinglich, Haushalte wurden so elektronisch aufgerüstet, die Unterhaltungsindustrie entstand und der Autoboom nahm Gestalt an. Um 1970 war diese Urbarmachung abgeschlossen, die Märkte waren gesättigt, zahlungsfähige Nachfrage erschöpft, die Kapitalexpansion nach innen konnte nicht fortgeführt werden. Das angehäufte Kapital fand keine Investitionsmöglichkeiten mehr, um eine Entwertung des Wertes zu verhindern, wurden die bis dato stark protegierten, nationalen Märkte geöffnet, um dort überschüssige Kapitalien gewinnbringend anlegen zu können. Zudem wurde aus diesem Grund vermehrt in die Finanzmärkte investiert. Der Neoliberalismus hat diese Möglichkeiten eröffnet und somit das drohende Krisenmoment der 1970er „überwunden“, um es lediglich zu verzögern. Die Krise kam so in Form einer „Finanzkrise“ einige Jahrzehnte später zurück und entfaltete dabei eine potenzierte Destruktivkraft. Es handelt sich bei der aktuellen Situation folglich um eine strukturelle Problematik, nicht um das Fehlverhalten einer Berufsgruppe.

Ressentiment als Aufhebung der immanenten Widersprüchlichkeit
Dennoch imaginiert das bürgerliche Subjekt Schuldige, Personen welche die alleinige Verantwortung für all dies tragen. Da es seiner Sozialisation und der Verfasstheit seiner Gesellschaft und den darin ständig aufs neue reproduzierten Sachzwängen durch sein alltägliches Bewusstsein nicht entfliehen kann, verfangen ist im Fetisch der Warenform und des Geldes, des Unendlichwachstums und der Lohnarbeit, vermag es die Widersprüchlichkeit, welche diese Formen hervorbringen und die Krisen, welche sie produzieren, nicht zu verstehen.
Darin offenbart sich der Grund für die Personalisierung des Unheils, für die Heraufbeschwörung der Ackermanns. Es scheint dem postmodernen Menschen ein Bedürfnis, Erklärung zu finden, er durchschaut dabei aber nicht die systemimmanente Logik. So projiziert er all das Destruktive, welches der Dialektik kapitalistischer Vergesellschaftung entspringt, auf den Sündenbock.
Sich nicht mit den strukturellen Bedingungen auseinanderzusetzen, heißt sie nicht hinterfragen zu müssen. Die gewohnte Ordnung bleibt intakt durch die Stigmatisierung eines gesellschaftlichen Teils, eines „Bauernopfers“, welchem vorgeworfen wird, die Sozietät fast geopfert zu haben. Die Reform genügt so zur Korrektur, die Struktur bleibt „intakt“.

Quelle: http://julianzoeschg.twoday.net/

mercoledì 2 settembre 2009

Demokratie: die heiligste aller Kühe

So delikat es vor einigen hundert Jahren gewesen sein muss (und in einigen dunklen Tälern Südtirols noch heute ist), die Gretchenfrage – Wie hältst du’s mit der Religion? – überhaupt zu stellen, so delikat erscheint es in unserer Zeit, die Demokratie als Organisationsform zu hinterfragen.

Der Konsens, der darüber zu herrschen scheint, erfreut sich eines soliden Fundaments von ganz Links bis ganz Rechts. Wen wundert’s, dass einer der heftigsten Vorwürfe politischer KontrahentInnen der ist, „antidemokratisch“ zu sein? Unter dem Gesichtspunkt einer Gesellschaftskritik, die sich nicht nur mit der zensurfreien Themenpalette des Konformismus begnügt, ist es unerlässlich, gerade solche Fragen zu stellen.

Zuallererst müssen wir festhalten, dass es „die Demokratie“ nicht gibt, sondern verschiedene Formen politischer Organisation, die sich demokratisch nennen und zum Teil starke konzeptionelle Unterschiede aufweisen (z.B. „Volksdemokratien“, Rätedemokratie, parlamentarische Demokratie). Letztere ist es, die sich heute zusammen mit der „freien Marktwirtschaft“ – d.h. Kapitalismus, der einmal neoliberal war und nun auf der Suche nach einem neuen Adjektiv ist - so großer Beliebtheit erfreut, dass einige gar das Ende der Geschichte zu sehen glaubten.

An einer dieser mannigfaltigen Formen haben viele in Südtirol nun ihren Narren gefressen: Mit einer Abstimmung soll am 25. Oktober 2009 ein Gesetz eingeführt werden, welches die gegenwärtig praktizierte parlamentarische Demokratie „direkter“ machen soll, d.h. es soll die Möglichkeit geben, den Willen des „Volkes“ ungebrochen (also ohne den Umweg über die Delegation an Parteien und PolitikerInnen) zum Ausdruck zu bringen. Ein hehres Anliegen, das von vielen bedingungslos unterstützt wird und große Hoffnungen weckt.

Zu Recht – insofern die Sicht allein auf eine formale Korrektur technisch-instrumenteller Natur beschränkt wird, die sowohl ihren Inhalt als auch ihren Kontext (die beide miteinander verknüpft sind) ausblendet und selbst die Form vorbehaltlos übernimmt. Dass gerade in diesem Diskurs wieder auf die mittlerweile fast verpönte Kategorie des „Volkes“ zurückgegriffen wird, offenbart eine wesentliche Funktion, welche die Demokratie als Herrschaftsform im modernen Staat seit Anfang an auch erfüllt: die Verschleierung und Integration. Das „Volk“ kennt keine Differenzen, keine Widersprüche in sich, es ist eine Gruppe, die einzig durch den gemeinsamen Glauben an eine höhere Einheit von ansonsten sich fremden Menschen verbunden werden. Objektive strukturelle Widersprüche, wie sie die kapitalistische Produktionsweise hervorbringt, existieren in der Gemeinschaft des „Volkes“ nicht, welches ihrerseits seinen Widerspruch im Volksfremden sieht, also all jenen, die außerhalb der Gemeinschaft stehen. Die Demokratie im modernen Staat kennt nur dieses Volk, diesen abstrakten Konsens, während sie gleichzeitig jeden potentiellen Widerspruch kanalisiert und in das demokratische System integriert. Erst wenn dies nicht gelingt, zeigt der Staat sein anderes, ebenso wahres Gesicht und lässt die Truppen aufmarschieren. Die Demokratie stößt an ihre Grenzen, wenn eine Gruppe eine der drei Säulen der Staatlichkeit, nämlich Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt, in Frage stellt. Separatistische Bestrebungen können ein Lied davon singen. So war die Ausweitung des Wahlrechts auf unterprivilegierte Schichten im England der beginnenden Neuzeit vor allem eine Reaktion auf die wachsenden sozialen Spannungen, die durch den Schein der Mitbestimmung – die Macht lag in der Hand der sich entwickelnden bürgerlichen Klasse – abgeschwächt werden konnten. Und noch heute stellt der Staat ein dynamisches System dar, welches strategisch selektiv die Interessen der KapitalistInnen begünstigt, und eben keinen neutralen Schiedsrichter, als der er gerne gesehen wird. Franz Naetar schreibt: „Demokratie“ ist zurzeit also vielleicht der wichtigste ideologische Begriff zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der kapitalistischen Weltordnung. Ohne die hinter diesem Begriff vorhandene Herrschaftsform infrage zu stellen, ist jedenfalls eine Kritik an dieser Weltordnung zahnlos.“ (Grundrisse Online) Die kapitalistische Produktionsweise hat eine Gesellschaft hervorgebracht, die ihr entspricht und die sie bis in die letzte Faser durchdringt. Diese beiden – Staat und Kapitalismus – stellen den Kontext dar, in dem sich die Demokratie verwirklicht. Jede Veränderung, die sich nur auf die politische Organisationsweise beschränkt, wird auch nie darüber hinauskommen.

Der zweite Punkt ist mit dem ersten direkt verbunden, er greift den schon angesprochenen Inhalt nochmals auf. Wer das demokratische Verfahren über alles stellt, ohne die eigentlich Handelnden eines Blickes zu würdigen, sollte sich das Beispiel des Nationalsozialismus zu Herzen nehmen: Was ist an einem Staat – dem „Dritten Reich“ – undemokratisch, wenn doch der Wille der Mehrheit der Repräsentierten so eins ist mit dem Willen der Repräsentanten? Der Volkswille hat geherrscht, hat Krieg geführt, gemordet und zerstört – direkte Demokratie par excellence. Dass das „Volk“ in der „Volksgemeinschaft“ der Nazis ein höheres Stadium erreicht hat, in dem alle gesellschaftlichen Gruppen und jedes Individuum integriert wurden und die innere Reinigung in der Verfolgung der Jüdinnen und Juden ihren Ausdruck fand, zeigt diese Ambivalenzen aufs deutlichste. Die Demokratie bleibt leer und hinter alle in sie gesetzte Hoffnung zurück, wenn die gesellschaftliche Verfasstheit – und die Produktionsweise, die sie bedingt – sich nicht auch ändern.

Es geht hier also nicht darum, „die Demokratie“ zu verwerfen, sondern den Blick zu schärfen auf das, was sich hinter dieser spezifischen Form demokratischer Herrschaft verbirgt. Gleichzeitig wäre es verkürzt, in der Einführung direktdemokratischer Elemente in Südtirol nicht auch die emanzipatorischen Momente zu sehen. Gerade in der Südtiroler Gesellschaft, die von einer starken Autoritätshörigkeit – Gott, Kaiser, Vaterland, die Geschichte zieht sich fort – geprägt ist (der Schritt zu Faschismus und Nationalsozialismus ist daher ein umso kleinerer, siehe Adornos „Studien des autoritären Charakters“), stellt die direkte Demokratie in dieser Hinsicht gewiss einen kleinen Fortschritt dar, da sie ein zweifaches Potenzial in sich trägt: Einerseits kann der Alleinanspruch der politischen RepräsentantInnen auf die politische Macht zurückgewiesen werden, andererseits sehen sich die Menschen womöglich weniger als passives Stimmvieh, als KonsumentInnen von Meinungen und Positionen, sondern sind selbst gefordert und müssen so eine aktive Rolle einnehmen. Nicht mehr und nicht weniger, und aus diesem Grund Wert, das Anliegen zu unterstützen, wobei gleichzeitig die Diskussion ausgeweitet und die Kritik vertieft werden muss. Denn einem Imperativ von permanenter Kritik und Selbstkritik folgend sind heilige Kühe - wie jene der Demokratie - dazu da, geschlachtet zu werden.*


Literatur zum Thema:

Franz Naetar: Wie hältst Du es mit der Demokratie? Artikel in Grundrisse Online


* Es sei darauf hingewiesen, dass die Verwendung dieser Metapher nicht zur Reproduktion bestimmter unreflektierter soziale Gewohnheiten beitragen soll.